Interview mit Prof. Dr. med. Dr. h.c. Wolfgang Stremmel

Worin unterscheidet sich das  Stremmel Lecithin hauptsächlich von den anderen – auf dem Markt verfügbaren – Lecithin Präparaten?

Antwort: Das als Nahrungsergänzungsmittel verfügbare Stremmel Lecithin ist das Ergebnis meiner jahrzehntelangen Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet. Es konnte nachgewiessen werden, dass ein Hauptbestandteil des Darmschleims der wichtigste Inhaltsstoff des Lecithins ist: das Phosphatidylcholin. Dieses körpereigene Fett kommt aus dem Blut und wird durch einen komplizierten Transportmechanismus von innen durch die Schleimdarmschleimhaut in den Darmschleim transportiert. Dort bindet es an das Schleimprotein Muzin, sodass sich eine wasserabweisende fetthaltige Schicht bildet, die die Darmbakterien vor dem Eindringen in die Schleimhaut und damit in den Organismus schützt. Nach meinen Untersuchungen ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich bei der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa um einen genetisch bedingten Defekt dieses Transportmechanismus handelt, der zu einer verminderten Konzentration von Lecithin (Phosphatidylcholin) im Schleim führt, sodass die Bakterien eindringen können und eine Darmentzündung hervorrufen. Auch eine kranke (entzündete) Darmschleimhaut oder Medikamente, die die Durchblutung des Darms verschlechtern und durch die dadurch bedingte Unterversorgung mit Sauerstoff die Darmbarriere stören, behindern den Transport von Phosphatidylcholin aus dem Blut in den Schleim. Dies sind die Medikamente, die gegen Schmerzen und Gelenkbeschwerden häufig eingesetzt werden, wie zum Beispiel Ibuprofen und Aspirin. Ist der normale Transportweg des Lecithins (Phosphatidylcholin) vom Blut durch die Darmschleimhaut gestört und man möchte diesen Defekt ausgleichen um so den optimalen Darmschutz wieder herzugstellen, so kann dies nur bei der inneren Darmwand reguliert werden. Deshalb habe ich mit meiner Arbeitsgruppe ein im Darm freigesetztes Lecithin Präparat entwickelt. Normales Lecithin oder ein Lecithin, welches nur gegenüber der Magensäure stabil bleibt (magensaftresistentes Lecithin) wird im oberen Verdauungstrakt komplett in den Körper aufgenommen und steht für den Einbau in den Schleim nicht mehr zur Verfügung. Hier liegt der Unterschied zwischen Stremmel Lecithin und den anderen konventionellen Lecithin Präparaten, die zum Schutz gegen die Darmbakterien unwirksam sind.

 

Wie kann man eine solche Freisetzung von Lecithin im Darm künstlich herstellen?

Antwort: Dazu muss ein konventionelles Lecithin mit einer Schicht überzogen werden, welche die für die Aufnahme in den Körper notwendige Aufspaltung des Lecithins durch die Bauchspeicheldrüse verhindert. Dies geschieht durch eine besondere Verkapselung, die den Angriff der Bauchspeicheldrüsenenzyme blockiert. Da die Bausspeicheldrüse ihre Enzyme nur dann abgibt, wenn feste Nahrungsbestandteile aus dem Magen entleert werden, sollte die Einnahme dieses im Darm freigesetzten Lecithinpräparates immer nüchtern erfolgen. Da das Granulat eine sehr kleine Korngröße hat, glaubt die Bauchspeicheldrüse nicht, dass es sich um Nahrungsbestandteile handelt. Weniger optimal, aber immer noch einsetzbar ist die Einbringung in kleine Kapseln. Die Kapsel erhält eine speziell erforschte Beschichtung/Ummantelung, die den Angriff der Bauchspeicheldrüsenenzyme blockiert. In beiden Fällen (Granulat oder Kapsel) muss der Patient reichlich Flüssigkeit zuführen und natürlich immer nüchtern sein. Das Stremmel Lecithin gibt es in Form eines umschichteten Sojalecithin Granulats zur Dünndarmfreisetzung und in Form von Kapseln, die mit Sonnenblumen Lecithin gefüllt sind und anschließend mit einer Schicht überzogen sind, die den Angriff der Bauchspeicheldrüsenenzyme verhindert.

Für Patienten mit Soja Allergie ist das Sonnenblumen Lecithin geeignet; für Patienten mit Allergien gegen Sonnenblumen das Soja Lecithin. Allerdings sind die allergenen Eigenschaften bei Lecithin eher gering, da verursachende Eiweißbestandteile durch den Herstellungsprozess der Lecithine weitgehend reduziert sind. Abhängig von den individuellen Vorlieben des Patienten kann die Auswahl  Granulat oder Kapsel getroffen werden.

 

 

Ist die Wirksamkeit des im Darm freigesetzten Lecithins (Phosphatidylcholin) bewiesen?

In mehreren Studien konnte ich mit meiner Arbeitsgruppe zeigen, dass die Einnahme von 1 bis 3 g Phosphatidylcholin täglich in einer Form, die im Dünndarm freigesetzt wird, bei Patienten mit Colitis ulcerosa, sehr wirksam ist. Es wurden 3 randomisierte klinische Studien (RCT) durchgeführt. Das bedeutet, dass eine Gruppe von Patienten mit vergleichbaren Ausgangskriterien nach dem Zufallsprinzip und ohne dass sie es selbst oder die Studienleitung es wussten, zu einer „Verum“ Gruppe (Phosphatidylcholin) oder einer Placebo (Scheinpräparat mit unwirksamem Inhalt) Gruppe zu gleichen Anteilen zugeordnet wurden. Beide Studienpräparate unterschieden sich nicht in Aussehen, Geschmack oder Geruch. Nur ein unabhängiges Auswertungskomitee kannte die Zuordnung. Dann wurde den Patienten über eine definierte Studienzeit die Medikation gegeben und am Ende wurde wurden die Ergebnisparameter mit denen zum Studieneintritt verglichen. Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten in den Studien konnte eine Besserung, ja sogar eine Heilung unter Phosphatidylcholin  nachgewiesen werden. Dies betraf die Darmsymptomatik mit blutigen Durchfällen, das endoskopische Bild, die Histologie und die Lebensqualität. Alle Parameter waren unter Lecithin deutlich besser geworden. Schließlich konnte in einer Remissionserhaltungsstudie gezeigt werden, dass Phosphatidylcholin bei  einem größeren Anteil der Patienten zu einer deutlich längeren Remission führte im Vergleich zur Gruppe mit dem Placebo-Präparat. Die Studienergebnisse dieser drei Studien sind in einer Metaanalyse zusammengefasst, die unter folgendem Zitat (Wirksamkeit von darmlöslichem Lecithin (Phosphatidylcholin) zur Behandlung der Colitis ulcerosa – Eine Metaanalyse; Erschienen in MMW – Fortschritte der Medizin | Sonderheft 7/2022) gefunden werden kann.

 

 

Warum hat es dieses Studienpräparat nicht bis zu einer Medikamenten Entwicklung geschafft?

Antwort: Für die Zulassungsstudien wurde Soja-Lecithin magensaftresistent verkapselt. Dies ist möglicherweise nicht ausreichend, um vor dem Angriff der Pankreasenzyme zu schützen, sodass ein Großteil des Phosphatidylcholins möglicherweise in den Körper aufgenommen wurde und für seine Wirkung im Dünndarm nicht mehr zur Verfügung stand, um leere Phosphatidylbindungsstellen am Muzin zur Stabilisierung des Darmschleims aufzufüllen. Das zweite Problem der Studien war, dass in der Verum und Placebo Gruppe obligatorisch Mesalazin zusätzlich als wirksames Therapeutikum eingesetzt wurde. Später konnte unsere Arbeitsgruppe in Studien nachweisen, dass die gleichzeitige Gabe des Fettes Phosphatidylcholin und des Detergenz Mesalazin zur Schaumbildung führt, der nicht tief in den Schleim eindringen kann, um entsprechende Phosphatidylbindungsstellen zu belegen. Dies konnte in Bezug auf die zu erwartende Wirksamkeit bei Patienten tatsächlich nachgewiesen werden.

Aufgrund der fehlenden Wirksamkeit dieser Kombination in der Phase 3 Studie, wurde die weitere Projektentwicklung eingestellt.

 

 

Was hat Sie dazu veranlasst, dass Stremmel Lecithin jetzt als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen?

Antwort: Aufgrund der gesammelten vorliegenden Untersuchungsergebnisse, die sich auf experimentelle Untersuchungen und klinische Studien bezogen, bin ich von dem Konzept einer Schleimstärkung durch Substitution mit Phosphatidylcholin überzeugt. Die Durchführung weiterer klinischer Studien, die bei positiven Ergebnissen zur Zulassung hätten führen können, war finanziell nicht stemmbar. Deshalb kamen mir folgende Überlegungen: Bei Phosphatidylcholin handelt es sich um einen natürlichen Nahrungsbestandteil, der nach Resorption und Transport im Blut schließlich über die Schleimhautbarriere in den Darmschleim abgegeben werden kann. Zudem kann Phosphatidylcholin durch physiologische Malabsorption bei Konsum von großer Menge auch vom intestinalen Lumen in den Schleim abgegeben werden kann. Deshalb versuchte ich den Weg als Nahrungsergänzungsmittel, um es den betroffenen Patienten zugänglich zu machen.

 

 

Fassen wir zusammen:  Ein Mangel an Phosphatidylcholin  im Schleim führt zur Entzündung. Ist also die Substitution im Schleim der einzige Wirkungsmechanismus oder gibt es noch andere Indikationen, um Lecithin auch bei anderen Erkrankungen als Colitis ulcerosa einzusetzen?

Antwort: Nach unseren Studien ist das Phosphatidylcholin im Schleim bei Colitis ulcerosa um 70 % vermindert, ohne dass bereits eine Colitis manifest wird. Dies geschieht wahrscheinlich erst nach Unterschreitung dieser Grenze. Ursächlich sind verschiedene andere Faktoren, wie zum Beispiel hormonelle Umstellungen in der Pubertät oder vorangegangene Infekte des Gastrointestinaltraktes. Meine Arbeitshypothese ist, dass bestimmte Bakterien im Darm Phosphatidylcholin als Nahrung ansehen. Deshalb haben verschiedene Bakterienstämme auf ihrer Oberfläche eine Ectophospholipase, um Phosphatidylcholin aus dem Schleim herauszubrechen und als Energiequelle zu verwenden. Das klassische Beispiel für einen solchen Keim ist der Helicobacter pylori. Er verzehrt das Phosphatidylcholin im Schleim der Magen- und Duodenalmucosa, nutzt es als Energiequelle und gräbt dabei Löcher in den Schleim, in welchen er sich verstecken kann und somit vor der Säure geschützt ist, bis er schließlich auf der Mucosaoberfläche einen immunologisch getriggerten Mechanismus in Gang setzt. Genauso könnten Bakterienpopulationen im Darm aktiv sein. Diese bewirken dann eine weitere Reduktion des Phosphatidylcholins mit entsprechender Entzündung. Dies könnte zum Beispiel auch ein präzipitierender Faktor für entzündliche Episoden bei Morbus Crohn sein. Aber auch andere Formen der Colitis, wie die ischämische Colitis, Medikamenten-induzierte Colitis oder Divertikulitis könnten dadurch erklärt werden. Luminales Phosphatidylcholin wäre für diese Ectophospholipase tragenden Bakterien eine leichte Beute und der Pathogenitätsfaktor wäre neutralisiert, sodass keine Schleiminvasion und Gewebsschädigung mehr erfolgt. Die beschriebene, heilende Wirkung bei Magengeschwüren mit Extrakten grüner Bananen könnte auf die enthaltene hohe Phosphatidylcholinkonzentration in diesen Früchten mit verzögerter Magenentleerung zurückzuführen sein. Deshalb könnte schlussgefolgert werden, dass im Darm frei gesetztes Lecithin (Phosphatidylcholin) die Pathogenität dieser Bakterienstämme unterdrückt und damit Entzündung hemmt. Also wäre dieses Lecithin bei allen entzündlichen Darmerkrankungen hilfreich, einschließlich des Reizdarmsyndroms, bei welchem viele Wissenschaftler eine subakute entzündliche Pathogenität vermuten.

 

 

Was versprechen Sie sich jetzt von der Einführung eines intestinal freigesetzten Sonnenblumenlecithins in Kapseln in Kombination mit Vitamin A?

Antwort: Vitamin A ist ein Vitamin, welches zu Erhaltung der gesunden Schleimhäute, insbesondere im Darm notwendig ist. Vitamin A fördert die Integrität der Darmschleimhaut, stärkt das Immunsystem und festigt so die intestinale Barriere. Damit schützt es vor Infektionen und Exposition schädlicher Substanzen. Auch das Mikrobiom wird positiv beeinflusst. Vitamin A ist fettlöslich. Deshalb ist die Kombination mit Lecithin ideal, um eine hohe Bioverfügbarkeit zu gewährleisten. Zudem ist Lecithin wie oben beschrieben ein weiterer Faktor, um den Darmschleim zu festigen. In Kombination sind sie ein unschlagbares Team. Deshalb verspreche ich mir von diesem Nahrungsergänzungsmittel für viele Menschen mit einem empfindlichen Darm einen Nutzen. Da es ein Sonnenblumenlecithin ist, ist die allergene Potenz geringer als bei Sojapräparaten. Die Einnahme als Kapsel ist für viele Menschen bequemer als der Verzehr von Granulat.